“Meine Moggele” – Leseprobe aus Band 3 der “Geschichten rund um den Unimog”

Monika Boehringer verteilt Prospekte vor dem Messestand des Unimog auf der DLG 1950

In den drei Bänden der “Geschichten rund um den Unimog” berichten übewiegend Zeitzeugen, was sie in den Pionierjahren des Unimog mit diesem Alleskönner erlebt haben. So im Band 3 die Stieftochter von Wolfgang Boehringer, der bei Gebrüder Boehringer in Göppingen die Unimog-Montage leitete.

Februar 2006: Schneechaos im Berchtesgadener Land. Die Feuerwehr befreit Monika und Ingo Boehringer in ihrem Haus in Bischofswiesen von den Schneemassen. „Boehringer’? Haben Sie etwas mit Unimog zu tun?“ fragt ein Feuerwehrmann. „Ja, ich habe die Anfänge in Göppingen miterlebt und sogar auf der Ausstellung, der DLG 1950 in Frankfurt, Prospekte verteilt!“ antwortete Monika Boehringer. In ihrer Familienchronik hat der Unimog eine besondere Bedeutung. Hier ihre Erinnerungen an die Göppinger Zeit:

Monika Boehringer

Mein Moggele

Er stand auf dem Hof vor der Fabrikhalle, hochbeinig, etwas unbeholfen wie ein zu groß geratenes Spielzeugauto. Schön war er eigentlich nicht, aber er schaute mit seinen kleinen Scheinwerferaugen so lieb aus, dass man ihn gern haben musste.

Ungewohnt war der Einstieg: hinter dem Vorderrad ein Tritt wie bei einer Kutsche oder wie der Steigbügel eines Pferdes. Nur mit Schwung erreichte man den Sitz. Dafür saß man nun beängstigend hoch und blickte direkt auf die Straße. Das Fahrzeug besaß keine Motorhaube – es fehlte die Schnauze. Dafür gab es ein Führerhaus und ein Faltdach mit Gestänge, über das Militärstoff gespannt war, das gehalten und gestrafft wurde von Lederriemen mit Metallschließen, die an Gürtel erinnerten. Der Blick rückwärts auf die Ladefläche war entweder frei und luftig oder man konnte bei ungünstiger Witterung ein Rollo herunterlassen und sah dann durch ein trübes Bakelitfenster. Die Ladefläche war aus schweren Holzteilen gefertigt. Drei Seiten konnten herunter geklappt werden – es sah dann aus, als hätte das Fahrzeug einen Rock an.

So sah ich den Unimog erstmals im Frühjahr 1947 auf dem Fabrikgelände von Boehringer in Göppingen.

Bereits im Spätjahr 1945 kam Wolfgang Boehringer aus dem Krieg zurück und wurde 1946 Geschäftsführer bei der Firma Gebrüder Boehringer. Im gleichen Jahr beteiligten sich die Gebrüder Boehringer an der Entwicklungsgesellschaft zum Bau des Unimog. Bei der Entscheidung, eine neue Produktlinie aufzunehmen, spielte die Demontagedrohung der Siegermächte eine wesentliche Rolle. Boehringer wollte mit diesem Schritt demonstrieren, dass die Firma bereit war, sich der neuen Zeit anzupassen. Die Produktion sollte auf die Landwirtschaft konzentriert werden, wobei auch Strickmaschinen zum Programm zählten. Mit dieser Produktlinie entsprach die Firma dem Morgenthau-Plan*, der die Umwandlung Deutschlands in ein Agrarland vorsah.

Für Wolfgang Boehringer bedeutete der Einstieg in den landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugbau die große Chance seines Lebens. Als diplomierter Landwirt verstand er viel von dieser Materie. Seine Tätigkeit ermöglichte ihm weiterhin die Nähe zur Landwirtschaft und außerdem die finanzielle Absicherung seiner Familie. Denn wieder im bürgerlichen Leben angekommen, hatte er inzwischen die Kriegerwitwe eines entfernten Vetters mit Kind geheiratet – das Kind war ich. So kam ich Anfang 1947 erstmals nach Göppingen und voller Stolz wurde uns das Wunderfahrzeug Unimog vorgeführt.

Dieses geniale Universalgerät konnte Pflüge und Eggen ziehen. Vorne, hinten und auch an den Seiten gab es Antriebsmöglichkeiten für Mähbalken, Seilwinden, Häcksler, Holzspalter und Generatoren. Wenn ich mich nicht täusche, sah ich später auf einer Alm sogar eine Waschmaschine, die von diesem Fahrzeug angetrieben wurde.

Der Unimog erhält ein Markenzeichen

Das dunkelgrün gestrichene Fahrerhaus des Unimog wirkte etwas nackt – es fehlte ein Markenzeichen. Da konnte meine Mutter Abhilfe schaffen. In der Esslinger Firma Wilde+Spieth war inzwischen Wilhelm Bertz untergekommen, ein Freund aus ihren Jugendtagen, der ihre Schulfreundin geheiratet hatte. Die Familie Bertz stammte aus Brandenburg und war nach dem Krieg in einem Behelfsheim in Esslingen gelandet. Bei Wilde+Spieth, die seinerzeit in erster Linie Holz-Rollläden produzierten, fand Wilhelm Bertz eine Beschäftigung. Er war ein kreativer Mensch, künstlerisch und im grafischen Bereich hoch begabt.

So hatte er die Idee, die Holzsandalen, die aus Holzresten gefertigt wurden, mit einem Gelenk zu versehen. Dadurch konnte man bequemer und flotter mit ihnen gehen. Aber selbst die Lederstreifen und zusätzlichen Nägel erwiesen sich in dieser Zeit als nicht leicht zu beschaffende Zutaten. Dabei kam er auch mit dem „Unimog-Einkäufer“ Hans Zabel in Kontakt, der bei Wilde+Spieth die Ladepritsche für den Unimog fertigen ließ. Und so erfuhr auch meine Mutter von der Existenz der Familie Bertz in ihrer Nachbarschaft.

 

Wilhelm Bertz entwarf das Markenzeichen für den Unimog, den Ochsenkopf. Hier ein metallener Aufnäher für die Arbeitsanzüge der Monteure und Vorführer.

Durch die Kontakte meiner Mutter war es nun leicht, Wilhelm Bertz in Sachen Markenzeichen um Unterstützung zu bitten. Im Herbst 1947 erschien er mit mehreren Entwürfen. Man traf sich in der Unimog-Halle und einigte sich schnell auf einen Entwurf: Die Wahl fiel einstimmig auf den Ochsenkopf. Er sollte zukünftig die etwas leere Motorhaube zieren. Man diskutierte noch über die Farben, aber die Kombination von Rot und Weiß zum Grün des Fahrzeugs war schnell geklärt.

Auch die Diskussion über den endgültigen Namen wurde wieder aufgenommen. Verschiedene Ideen tauchten auf. Vom Jeep wusste man, dass sich der Name von „general purpose“ ableitete, was mit Universal-Zweck-Fahrzeug übersetzt werden konnte. Man wollte auf jeden Fall das Wort General vermeiden, denn das war schon wieder zu militärisch.

Sie dachten auch an „Farmax“. Darin wäre Farm enthalten gewesen und ein wenig „amerikanisch“ wäre sicher gut. Max stand – wenn auch lateinisch – für bäuerlich. Aber der Name war leider schon besetzt durch ein Fahrzeug der Firma Gutbrod in Plochingen. Dort wurde ein Vehikel gefertigt, bei dem der Fahrer hinten saß – die Ladepritsche vor sich. Dieses Modell wurde belächelt, denn bei voll beladener Pritsche konnte der Fahrer nichts sehen. Ein weiteres Argument gegen den Namen Farmax war, dass man der Firma Fahr ins Gehege kommen könnte.

 

Begriffe wurden diskutiert und wieder verworfen. Inzwischen war im Werk Feierabend, deshalb ging man zu uns in die Wohnung Christophstraße 35. Bei einigen Glas Most wurde weiter phantasiert und kombiniert. Es wurde spät und ich sollte schon mal zu Bett gehen. Aber mein Bett war eine Schlafcouch, und die stand im Wohnzimmer. So konnte ich die Diskussion weiter verfolgen, die letztlich darin endete, dass es bei dem früher bereits von Hans Zabel vorgeschlagenen Namen Unimog als Abkürzung für Universal-Motorgerät zunächst bleiben sollte, bis ein besserer Name gefunden sei. Man hatte die Sorge, dass der Name vom ländlichen Kundenkreis nicht angenommen würde. Der Name Unimog war also eigentlich nur ein Provisorium. Aber wie viele Provisorien hielt es bis heute. Meiner Mutter gefiel der Name jedoch besonders gut. Sie fand, er passe zu dem Ochsenkopf, den sie neu-schwäbisch mit „moggelich“ bezeichnete, denn als „Moggeleskopf“ wird auch der etwas zu groß geratene Kopf eines jungen Stieres bezeichnet. Und so passte doch eigentlich der Name zum Ochsenkopf.

Heute gibt es ein Kinderbuch „Das Moggele“. Ich durfte im Herbst 2006 bei der Überreichung an den Vorstandsvorsitzenden der damaligen DaimlerChrysler AG, Dr. Dieter Zetsche, im Unimog-Museum mit dabei sein. Zwischen dem Abend der Begriffsfindung Unimog und dem Wiedersehen des Unimog-Prototypen im Museum lagen rund 60 Jahre.

Mit Wilhelm Bertz waren wir noch lange verbunden. Er wurde mein nächster Vormund. Ob er für die Gestaltung des Markenzeichens je bezahlt wurde? Viel kann es nicht gewesen sein. Bertz wurde später Werbeleiter bei Hartmann in Heidenheim, die Watte und Verbandsmaterial herstellte.

Den Entwurf für den Ochsenkopf übergab man einem Maler aus Rechberg-Hausen, der eine Schablone fertigte, mit deren Hilfe der schöne Ochsenkopf die Motorhaube zierte. Der gleiche Maler gestaltete frei Hand die Bilder auf dem Ausstellungspavillon für den Unimog auf der DLG in Frankfurt 1950.

Unser Leben in Göppingen

Die Wohnungsnot in Göppingen war nach dem Zweiten Weltkrieg groß. Das verschärfte sich weiter, als die Amerikaner den vorhandenen kleinen Flughafen als Militärflughafen ausbauten. Auch diese Mitarbeiter benötigten Quartiere.

Wer von den neuen Mitarbeitern beim Unimog Familie hatte, konnte sie nicht nachkommen lassen. Wer alleine war, suchte sich ein Notquartier. Und so entstand in Baracken hinter der Unimog-Produktionshalle eine Art Unimog-Kommune, in der man die Not, aber auch die Begeisterung teilte.

Man hörte lustige Geschichten, wie die Unimog-ler – so wurden sie innerhalb des Werkes genannt – ihren Alltag meisterten. Durch die engen Kontakte zur Landwirtschaft kamen sie an Esswaren, die dem Normalsterblichen unerreichbar waren.

So wusste der Versuchsleiter Christian Dietrich, dass am Wohnort seiner Familie am Ammersee ein Schwein gegen eine Dosen-Verschließmaschine zu haben war. Diese Maschinen stellte Boehringer auch her. Und so kam Dietrich auf die Idee, das Schwein mit vielen Tabletten einzuschläfern. Es würde ja ohnehin bald geschlachtet. Ähnliches hatte er schon mal bei einem Ferkel ausprobiert. Es funktionierte auch diesmal: Das schlafende Schwein wurde auf der Unimog-Pritsche vertäut, schnarchte aber schon bald so laut, dass Dietrich die alsbald folgende Kontrolle nur bei laufendem Motor überstand. Er behauptete, sein Fahrzeug nicht mehr starten zu können, wenn er ausschalten würde. Eine solche Schwäche dem Unimog nachzusagen, fiel ihm damals sicher schwer. Das Schlachtfest in der Baracke ernährte die Mannschaft für eine Weile.

Es meldeten sich nicht nur Leute, die am oder für den Unimog arbeiten wollten. Es kamen auch die ersten Interessenten, die einen Unimog kaufen wollten. Erst wenige Exemplare waren produziert – alle in Handarbeit. Man befand sich noch in der Testphase für die Anwendung des Fahrzeugs.

Für die schwäbische klein gegliederte Landwirtschaft rund um Göppingen war der Unimog fast zu anspruchsvoll. Zwar lief ein Testfahrzeug im Gutsbetrieb des Grafen Rechberg auf dem Staufeneck und bei dem Grafen Degenfeld in Donzdorf, aber der Unimog sollte auch große Felder bearbeiten und  in der Forstwirtschaft zum Einsatz kommen.

Was heute weitgehend vergessen ist: Zum Morgenthau-Plan* gehörte auch eine Bodenreform. Große landwirtschaftliche Flächen in einer Hand sollten aufgeteilt werden. Nun gab es in unserer Gegend kaum Betriebe, die so groß waren, dass sie von diesem Plan betroffen gewesen wären. Wenn, dann waren es Güter in adligem Besitz. Dort half man sich, indem man nominell unter der adligen Verwandtschaft aufteilte, die nach dem Krieg in den Westen geflohen war. Es gab diese Fälle auch bei uns. Töchter dieser Verwandtschaft waren mit mir in der Schule oder beim Reitunterricht – wie Iris von Stülpnagel oder Edda von Lindeiner.

Aber die größten Güter lagen natürlich in Bayern, wie für uns Bayern überhaupt das Land war, in dem noch Milch und Honig floss. Deshalb war man sehr aufgeschlossen, als die ersten Interessenten aus Bayern kamen.

Unimog der Vorserie von 100 Boehringer-Unimog in Bayern – erkennbar am Gitter vor den Scheinwerfern.

Einer war der Freiherr von Aretin. Er hatte großen Grund- und Waldbesitz, gehörte dem neu gegründeten Bauernpräsidium an und war nebenbei der Onkel der später berühmten Fernsehansagerin Annette von Aretin. Der Baron war ein typischer Vertreter seines Standes mit Lodenmantel und Gamsbarthut. Er sprach ausgeprägt – aber sehr gepflegt – bayrisch und brachte immer etwas Nahrhaftes für die Unimog-ler mit.

Ebenfalls aus Bayern kam ein Herr Brühschwein. Er war Funktionär im Bauernverband. Daher nahm man seinen Besuch sehr ernst und Wolfgang Boehringer übte mit uns ein, seinen Namen deutlich als „Brüsch-Wein“ auszusprechen. Dazu mussten wir einen richtigen Anlauf nehmen – doch lieber vermieden wir die namentliche Anrede, während er sich selbst als Brühschwein vorstellte.

Boehringer-Vorserien-Unimog als Zugmaschine des Hofbräuhauses Traunstein

Aus Traunstein kam Fritz Sailer mit Sohn. Der hatte nicht nur eine große Landwirtschaft, sondern auch ein großes Brauhaus mit Biergarten. Diese Kombination brachte meinen Stiefvater Wolfgang Boehringer auf den Gedanken, dass ich später einen Bierbrauer heiraten sollte, möglichst noch mit eigenem Jagdrevier – an beidem hatte er starkes Interesse.

 

Dann gab es noch den „Daxenberger“ aus Unterwössen-Marquartstein. Auch bei ihm war zeitweise der Unimog im Einsatz. Dafür brachte er immer Käse mit. Unsere ersten Ferien verbrachten wir bei Herrn Blösl auf dem Daxenberg. Dort nahm mein Stiefvater Schuhplattler-Unterricht, und in Sailer’s Biergarten dirigierte er die Blaskapelle. Unser Leben wurde durch den Unimog sehr abwechslungsreich.

Besonders aufregend für alle war es, als der berühmte Motorrad-Rennfahrer Ernst-Jakob Henne in Begleitung seiner Frau nach Göppingen kam. Er war von der Technik des Unimog begeistert und erkannte früh die geschäftlichen Möglichkeiten, die im Vertrieb dieses Fahrzeugs in Bayern lagen. Seine Frau nannte unser Idol zärtlich „Buberl“, ein Name, der später an einem unserer Hunde hängen blieb.

Von Henne eingeladen, waren meine Eltern auf einem der ersten Oktoberfeste nach dem Krieg und berichteten von einem Fahrgerät, dem Rotor, bei dem man durch die Rotationskräfte an die Wand geklebt wurde.

Ein Grund, dass die ersten Versuchs-Unimog nach Bayern gingen, war sicher auch die gemeinsame amerikanische Besatzungszone. Zu gerne hätte Wolfgang Boehringer den Unimog auch auf der Weitenburg erprobt, seiner früheren Ausbildungsstätte am oberen Lauf des Neckars. Aber diese lag in der französischen Besatzungszone. Erst später nahm man Verbindung zum Gut Werenwag an der jungen Donau auf, das zum Fürstlich Fürstenbergischen Besitz gehörte.

Meine Mutter berichtete begeistert, dass man dort mit Handkuss empfangen wurde und dass eine bildschöne Prinzessin die Honneurs machte. Das waren die Glanzpunkte der ersten Unimog-Zeit. Der Alltag bestand aus Versuchen und Tests, alle so erfolgreich, dass es eine reine Freude war.

Wir selbst waren jeden Sonntag, noch wurde auch am Samstag überall gearbeitet, mit dem Unimog unterwegs, meist auf der Schwäbischen Alb rund um Gruibingen in der Gegend der Wolfbühlhütte. Diese gehörte dem Esslinger Schneeschuhverein, und so traf man dort Bekannte und willige Helfer. Die Wege dort waren schlecht, steinig und steil, also genau das, was der Unimog brauchte, um seine Möglichkeiten unter Beweis zu stellen. Mit der Seilwinde zog er Stämme aus dem Wald, er schleppte schwere Anhänger und erklomm Schrägen, bei denen jedes andere Fahrzeug umgestürzt wäre.

Der mutigste Fahrer war Roland Feix, genannt der Feixle. Er war als Heimatvertriebener mit seinen Eltern aus Eger in den Westen gekommen und ganz jung bei Boehringer eingetreten. Als Jüngster in der Mannschaft, ungeheuer begeisterungsfähig, nimmermüde, mit einem für uns besonders nett und höflich klingendem Dialekt böhmischer Färbung hatte er das besondere Wohlwollen meines Stiefvaters.

Den heute 94jährigen Roland Feix hatte Monika Boehringer besonders ins Herz geschlossen.

Er hatte, wie man sagt, beim Chef „einen Stein im Brett“. Arbeits- und Freizeit waren nicht getrennt, und so nahm der Feixle an unserem Familienleben teil. Die Familie besaß eine große Streuobstwiese am Stadtrand, und deshalb nahm man die Versuchsfahrzeuge samt Fahrer für die Arbeit dort in Anspruch.

Wir entwickelten eine neue Methode des „Apfelbrechens“ – wie es im Schwäbischen heißt. Wir fuhren mit dem Unimog in die Lücken unter den Bäumen und von der Pritsche aus konnten zwei oder drei Personen bequem die Äpfel ernten und sie vorsichtig in die Kisten legen. Selbst der Fahrer pflückte die von seiner Position aus erreichbaren Äpfel. Dann wurde der Unimog umdirigiert. Dazu gab mein Stiefvater die Anweisungen an Roland Feix, denn er selbst konnte nicht fahren. Durch eine Kriegsverletzung war er etwas behindert.

Es hieß auch, dass der Unimog schwer zu fahren sei. Man musste Zwischengas geben und das Zuschalten von Allrad und Differentialsperre wollte gekonnt sein. Umso mehr erweckte der Feixle Bewunderung. Er galt als der Mann mit dem absoluten Gehör für den Motor. Mit ihm fahren zu dürfen war mein größtes Glück und nur ungern räumte ich meinen Beifahrersitz und ging auf die Ladepritsche. Viel lustiger war es, vorne zu dritt zu sitzen, obwohl Schalthebel und Handbremse weitere Annäherungen unmöglich machten.

Mein Idol hatte ein kühn geschnittenes Profil, einen sauber gezogenen Scheitel und mit seinen immer schönen roten Backen sah er wie ein frisch polierter Apfel aus. Meine Bewunderung, wenn er so souverän durch das Gelände fuhr, mischte sich mit dem Stolz, neben ihm sitzen zu dürfen. Geredet wurde nicht allzu viel, dazu waren die Motorgeräusche zu laut. Wir verständigten uns mit Zeichen. Traurig war es immer, wenn es – wie beim Pferd – „Absitzen“ hieß.

Ich hoffe nur, mein Idol hat von meiner damaligen Begeisterung für ihn nicht allzu viel bemerkt, ich war gerade mal zwölf Jahre alt. Eine Großaufnahme vom Unimog mit Roland Feix am Steuer hing jahrelang neben meinem Bett.

Von den Testfahrten am Wochenende rund um Gruibingen ist mir eine in besonderer Erinnerung. Wo immer der Unimog aufkreuzte, erregte er Aufmerksamkeit, und viele wollten mitfahren. Auch damals galt das Prinzip: Besser schlecht gefahren als gut gelaufen!

Wir hatten mal wieder Leute vom Ort mitgenommen und fuhren über Stock und Stein auf der Alb herum. Unter Gejohle und Gelächter saßen Jung und Alt auf der Pritsche und wurden kräftig durchgeschüttelt. Bodenwellen nahm unser Feixle so, dass die Leute richtig in die Luft flogen. Beim Absteigen sagte dann eine Bäuerin: „ Wenn mein A…. aus Glas wär, wär er jetzert hee!“ Sie meinte damit natürlich, wenn ihr Allerwertester aus Glas bestünde, wäre er jetzt kaputt.

Die DLG in Frankfurt 1950

 Der Höhepunkt in meinem Leben mit dem Unimog war, dass ich 1950 mit auf die Ausstellung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft in Frankfurt durfte. Man hatte mich dafür einfach aus der Schule genommen. Schließlich wurde ich gebraucht. Das musste der Lehrer einsehen. Frankfurt war der nördlichste Punkt, den ich bis dahin erreicht hatte. Wir wohnten in einem sehr feinen Hotel in der Nähe des Messegeländes, dem „Hessischen Hof“.

Natürlich hatte ich von den Vorbereitungen schon einiges mitbekommen. Als Messestand diente ein Fertighaus der Firma Kübler, die in Göppingen in unmittelbarer Nähe unserer Unimog-Halle die ersten Fertighäuser produzierte. Die Werbeflächen mit dem Firmennamen und kühn gemalten Bildern vom Unimog im Einsatz hatte der bereits erwähnte Malermeister aus Rechberghausen gestaltet. In dem Messehäuschen waren zwei Räume: ein so genanntes Chefzimmer und ein Raum, in dem Kunden beraten wurden. Hinzu kam eine kleine Küche, in der meine Mutter wirkte und eine Terrasse für das Fußvolk.

Bei dieser Messe sollte dem staunenden Publikum außer dem Unimog in Normalausführung ein neues Zusatzgerät präsentiert werden: ein Kartoffel-Legegerät. Die Idee war genial. Es war für die Messe konstruiert und einmal gebaut worden, aber noch nie vorher in der Praxis getestet worden. Machte nichts. Dass die Zeit vor wichtigen Messen immer zu knapp ist, habe ich später immer wieder erlebt.

Meine Aufgabe war es, dem Publikum das Kartoffel-Legegerät vorzuführen!

Mein Kartoffel-Legegerät stand auf der Freifläche und erregte starke Neugier. Hinter der Ladefläche des Unimog war ein Gerät mit vier kleinen Sitzen, davor eine Art Förderband mit Raster, in die man die Kartoffeln einlegte. In gewissem Abstand gab es Löcher nach unten, durch welche die Kartoffeln in die aufgepflügte Erde fallen sollten. Ein schaufelartiges Teil sollte dann die gelegten Kartoffeln wieder mit Erde bedecken.

 

Monika Boehringer führte auch das Kartoffellegegerät vor. Eine Marktreife erzielte es nie.

Wie gesagt, in der Praxis war das Gerät noch nie gelaufen. Ob es je in dieser Form gebaut wurde, bin ich mir nicht sicher. Die erste Frage der Bauern galt den kleinen Sitzen. Wer sollte das Ding bedienen?

Nun kam mein Einsatz. Ich musste mich auf so ein Sitzchen zwängen und vorführen, wie ich die Kartoffeln verteile, die mir von der Ladefläche her zufielen. Ganz selbstverständlich war, dass auf den kleinen Sitzchen die Kinder sitzen sollten. Die Frage der Kinderarbeit in der Landwirtschaft stellte sich damals noch nicht.

Natürlich kannten wir die Schwächen unseres Geräts und hatten deshalb zur Vorführung Kartoffeln gleicher Größe mitgebracht, die ich nach der Demonstration wieder einsammeln musste.

Das Kartoffellegegerät auf einem Prospektfoto

Wir wurden nicht nur bestaunt, wir wurden vom Publikum so bedrängt, dass unsere Leute gar nicht mehr nachkamen, die gestellten Fragen zum Unimog zu beantworten. Also wurde auch mir ein Paket Prospekte in die Hand gedrückt und ich beantwortete Fragen, die mir in allen deutschen Dialekten gestellt wurden, mit scheinbarer Sachkenntnis. Dabei plapperte ich nur nach, was ich über Allrad, Differentialsperre und Zapfwellen aufgeschnappt hatte.

Alles, was ich scheinbar wusste, durfte ich sagen, nur über den Preis sollte ich nicht sprechen. Denn der Unimog war teuer, sehr teuer sogar. Ich erinnere mich, dass er in der einfachsten Version 13.800 DM kosten sollte. Wir bezeichneten ihn als den Mercedes unter den Schleppern, wie wahr sollte es werden! Wenn die Preisfrage auftauchte, gab ich ernsthafte Interessenten an die „Kollegen“ auf der Veranda weiter. Unterschriften unter Kaufverträge wurden im Chefzimmer geleistet.

Die Belohnung für meinen unermüdlichen Einsatz war, dass ich abends essen durfte, was ich wollte. Während sich der Chef Austern bestellte, vor denen es mir grauste, aß ich irgendwas mit Champignons, die damals in Mode gekommen waren.

Die Messe dauerte sicher eine ganze Woche. Als ich wieder in der Schule erschien, mühten sich meine Mitschülerinnen noch immer mit dem Dreisatz ab, den ich wohl deshalb nie ganz begriffen habe.

Der Unimog-Messestand von 1950 wurde später Gartenhäuschen  (von links: Christof Boehringer, Philipp Motz, Monika Wagner (Boehringer) Claudia Kopp)

Aus dem Messehäuschen wurde später ein Gartenhäuschen auf dem Grundstück der Familie – geeignet für flotte Parties.

Nicht nur durch gemeinsame Erlebnisse war man zu einer regelrechten Unimog-Familie zusammengewachsen. Wir fuhren zusammen zum Ski- oder Schlittenfahren in das Landhaus der Boehringers im Schwarzwald. Die Fotos können es beweisen.

Wenn ich von der Unimog-Familie spreche, dann muss ich zugeben, dass die Frauen benachteiligt waren. Ihre Männer waren fast mehr mit dem Unimog als mit ihnen verheiratet. Aber die Frauen waren echte Pionierfrauen. Ich denke an Frau Friedrich, Frau Dietrich, Frau Grass und Frau Florus. Sie lebten lange Zeit räumlich getrennt von ihren Männern und zogen jeweils zwei oder drei Kinder groß. Ob Heinrich Rößler oder Hans Zabel außer mit dem Unimog überhaupt verheiratet waren, erinnere ich mich nicht.

Unimog für die Schweiz

Ein wichtiges Kapitel in der Unimog-Geschichte begann 1948 mit dem Besuch von Eddy Hof aus der Schweiz. Er war ein ehemaliger Oberst der Schweizer Armee, der sich freiberuflich betätigte und ein Auge auf den Unimog für die Ausrüstung der Schweizer Armee geworfen hatte.

Unimog-Vorführung bei der Schweizer Armee

Dieser Gedanke schien zunächst völlig abwegig. Man wollte die Auflagen der Besatzungsmächte erfüllen und hatte von Rüstung und Militär gründlich genug. Eddy Hof erschien sehr oft in Göppingen und verwöhnte uns mit Geschenken in Form von Kugelschreibern und Bananen. Wir konnten den Verlockungen nicht widerstehen und reisten Anfang 1950 in die Schweiz.  ???

Es war damals noch sehr schwierig, in die Schweiz zu kommen. Wir mussten über Vorarlberg einreisen und bekamen nur ein sehr beschränktes Devisenkontingent zugeteilt. Da wir eine Tante in der Schweiz hatten und unsere Hotelrechnung in Zürich auf wundersame Weise beglichen worden war, konnten wir über den Gotthard bis nach Lugano fahren.

Wenn bekanntlich die ersten 50 Unimog für die Schweizer Armee noch in Göppingen gefertigt wurden, so muss der Vertrag während dieser Reise geschlossen worden sein.

Das Ende des Unimog in Göppingen rückte näher, als sich der Vertrag mit Daimler-Benz über die Lieferung von 600 Motoren dem Ende zu neigte und Daimler auf den Kauf des Unimog-Geschäfts drängte.

Alle Mitarbeiter sollten übernommen werden, und auch mein Stiefvater wäre gerne mitgegangen. Um sich günstig zu präsentieren, fuhr er gemeinsam mit meiner Mutter nach Mannheim zu Direktor Holzner. Der Gedanke, schon wieder umzuziehen, Schule und Freundinnen zu wechseln, war mir gar nicht recht. Waren wir doch erst zwei Jahre zuvor aus Esslingen nach Göppingen übersiedelt. Und so war ich glückselig, als aus Mannheim gleich eine glatte Absage kam.

 

Zum Abschied des Unimog von Göppingen entstand dieses Foto

 Der Abzug des Unimog aus Göppingen war für uns alle traurig. Viele schöne Freundschaften waren in dieser Zeit entstanden. Für meinen Stiefvater war es in beruflicher Sicht sicher die interessanteste Zeit seines Lebens. Die Ehe mit meiner Mutter wurde später geschieden. Ich hieß damals Monika Wagner. Später habe ich Ingo Boehringer geheiratet, einen Neffen meines Stiefvaters.

*Vom Morgenthau-Plan gab es nur einen Entwurf. Er wurde nie verabschiedet. Aber durch Indiskretion oder gewollte Propaganda wurden Teile davon während des Zweiten Weltkriegs bekannt.

Fotos: Mercedes-Benz, Hofbräuhaus Traunstein, Sammlung Michael Wessel und Roland Feix

Der Band 3 der “Geschichten rund um den Unimog” ist zum Sonderpreis von 10 Euro im Unimog-Museum und über www.buchundbild.de  erhältlich.

= www.buchundbild.de/de/neuheiten/buch-geschichten-rund-um-unimog-band-3-sonderpreis-604001042

 

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