Frühe Skizze vom 4. August 1945 zum geplanten Universalgerät für die Landwirtschaft
Im Mai starteten wir die Serie „70 Jahre UNIMOG-Idee“ – nachzulesen hier in der Unimog-Community.
Nach den grundsätzlichen Untersuchungen der Wettbewerber nahm im August das Projekt „Motorfahrzeug für die Landwirtschaft“ konkretere Formen an. Hierzu verwahrt das Daimler-Archiv eine Kopie der wohl allerersten Skizze, die der Konstrukteur Walter Benseler im Auftrag von Albert Friedrich anfertigte. Ein Glücksfall, dass zumindest diese einfache Kopie erhalten geblieben ist.
Bei meinen Recherchen für den ersten Band der „Geschichten rund um den Unimog“ stieß ich bereits im Jahr 1991 auf diese Kopie und bedauerte, dass die Linien teilweise nur noch zu erahnen waren. Eine Widergabe im Buch war unmöglich. Jetzt suchte ich das Daimler-Konzernarchiv nochmals auf, machte eine Kopie von der Kopie und erlaubte es mir, darauf die feinen Bleistiftstriche mir dünnem Filzstift nachzuzeichnen.
Die Skizze „Motorfahrzeug (M 1 : 10)“ im Format A 2 ist mit 4. August 1945 datiert und trägt das Kurzzeichen von Walter Benseler. Darauf hatte dieser folgenden Text geschrieben, da er die Skizze seinem Chef offensichtlich nicht persönlich präsentieren konnte:
„H. Friedrich! Bitte geben Sie auf dieser Pause an, welche Einzelheiten noch markiert bzw. eingezeichnet werden sollen. Ich schlage vor, außer dem reinen Fahrzeug den Mäher u. den Pflug anzudeuten, damit sofort der landwirtschaftliche Charakter ins Auge fällt. Allerdings liegt die Anordnung des Pfluges noch nicht klar.
Auch ist fraglich, ob die Konturen des Fahrzeuges die „augenblicklich endgültigen“ sind (H. Birk wird wohl morgen wieder da sein).
Das Format der Zeichnung wird auf alle Fälle größer und wenn klar, werden die Außenkonturen am besten in Tusche ausgezogen.“
Fragen an Albert Friedrich auf der Skizze von Walter Benseler
Die äußere Kontur des Fahrzeuges entspricht bereits weitgehend der des späteren offiziellen Entwurfs vom 9. September 1945, der ebenfalls von Walter Benseler stammt. Der Motor ist im Heck über der Hinterachse platziert und das Getriebe befindet sich in der Fahrzeugmitte. Vorn ist der Antrieb für den Mähbalken und hinten ein möglicher Zughaken für den Pflug angedeutet. Schließlich sollte der Betrachter sofort den landwirtschaftlichen Charakter erkennen können. Die Bodenfreiheit wurde mit 300 mm angenommen. Das Fahrzeug hat – wie der spätere Unimog – bereits vier gleich große Räder und einen Laderaum.
Dass man noch ganz am Anfang der Überlegungen stand, verdeutlichen Fragen, die von Benseler auf der Zeichnung an Friedrich gestellt wurden:
Vorschlag: Anordnung des Antriebes ganz dünn (schematisch) einzeichnen! Ja oder nein
Laderaum oder Türen oder ? – ev. Klappe nach außen unten!
Auch die Reifengröße wurde hinterfragt.
Am Folgetag hatte Albert Friedrich die Fragen durch Ankreuzen beantwortet und für die einzelnen Gänge die Kilometer pro Stunde vorgegeben. Demnach sollte der erste Gang mit 3 km, der zweite mit 5 km, der dritte mit 7 km, der vierte mit 12 km, der fünfte mit 30 km und der sechste mit 50 km gefahren werden können.
Skizze von Walter Benseler für den Antrieb und das Getriebe zum Motorgetriebenen Universalgerät
Erwin Sturm aus dem kleinen Entwicklungsteam erinnerte sich 1992 in seinem Beitrag „Spätzlemaschine oder Ackermaschine“ im Band 1 der „Geschichten rund um den Unimog“: „Wir waren alle von der Idee einer neuartigen Landmaschine begeistert, und schon bald beugten wir uns über eine frühe Zeichnung: Ein Ackerschlepper mit vier gleich großen Rädern und einer Kabine. Der Motor war noch hinten eingezeichnet. Das war etwas Neues, das gab es noch nicht. Und wenn der Morgenthau-Plan, Deutschland zu einem reinen Agrarstaat zu machen, Realität würde, dann gäbe es für ein solches Fahrzeug bestimmt große Absatzchancen.
Nun erhielten jeder von uns eine Aufgabe zugeteilt, die ihm helfen sollte, Anwendungsbereiche und Konstruktion dieses neuen Fahrzeugs besser zu verstehen. Mich fragte Herr Friedrich: ‚Können Sie mähen? Nein? Dann gehen Sie zu Ihrem Bauern und lernen es!’
Der Bauer, bei dem ich das Mähen erlernen sollte, verfügte über einen handgeführten Benzin-Motormäher – doch ich musste natürlich zunächst einmal mit der Sense üben. Nach vier Wochen trafen wir uns alle wieder und tauschten unsere Erfahrungen und Erkenntnisse aus.“
Weitere Gespräche mit Erhard & Söhne
Um seine Ideen umzusetzen operierte Albert Friedrich bekanntlich zweigleisig. So führte er am 24. August 1945 ein Gespräch bei Erhard & Söhne, das Eduard Köhler, der heute ebenfalls als einer der Väter des Unimog-Erfolgs gilt, wie folgt protokollierte:
„Eine Unterredung mit H. Friedrich über die Aussicht landwirtschaftliche Geräte oder Maschinen zu bauen, führte zu folgender übereinstimmenden Auffassung:
Unserer Landwirtschaft fehlt ein Transportmittel, das geeignet ist, auf der Strasse und im Gelände Personen und Lasten zu bewegen. Darüber hinaus muss dieses Fahrzeug, teilweise mit Zusatzgeräten versehen, ein Grossteil der anfallenden Arbeiten bewältigen können.
Der vielfach für diesen Zweck empfohlene Traktor kann diese Aufgaben nicht alle erfüllen, da alle bis jetzt gebauten Typen zu schwer ausgefallen sind. Die meisten Traktoren besitzen nur Zweirad-Antrieb. Ein Traktor mit Raupenketten ist dagegen auf der Straße wieder schwerfällig, ausserdem ist das Fahrzeug zu teuer.
Die Lösung der Frage ist nach Ansicht von H. Friedrich möglich durch die Verwendung eines
Vierrad angetriebenen automobilähnlichen Fahrzeuges.
Dasselbe wird eine gewisse Ähnlichkeit mit den kleinen amerik. Jeeps besitzen.
Eine weitere Aufgabe besteht darin, verschiedene Zusatzgeräte anzubauen oder zu entwickeln, u. a. eine Mähmaschine, die nicht wie seither, seitlich vom Fahrzeug arbeitet, sondern vor dem Fahrzeug. Der Vorteil dieses Transport- und Arbeitsgerätes liegt in folgenden Punkten begründet:
Die 4 angetriebenen Räder ermöglichen in jedem Gelände zu fahren. Dass die Anfahrt auf der Strasse schnell vor sich geht, ist bei einem luftbereiften Fahrzeug wohl keine Frage. Auf dem Wägelchen können Geräte, sowie auch gewisse Mengen von Saatgut oder Ernteerzeugnisse mitgenommen werden. Der Vierrad-Antrieb gestattet Schleppen schwerer Anhänger. Es ist selbstverständlich, dass die Fahrmaschine auch als Antriebsquelle für sonstige landwirtschaftliche Maschinen genutzt werden kann.
Die Stärke der Antriebsmaschinen wird nach H. Friedrich mit etwa 25 PS zu bemessen sein.
Es ist gedacht, nicht über einen Verkaufspreis von RM 3 500.- zu gehen. Sicherlich haben vor dem Kriege andere Firmen ähnliche Wege zu gehen versucht, doch sind in der Zwischenzeit die Erfahrungen der Kriegsfahrzeuge dazu gekommen, die eindeutig beweisen, dass man mit einfachen Mitteln Vierrad getriebene Wagen bauen kann.
Friedrich, ein äusserst erfahrener aber nüchterner Konstrukteur, bürgt für Durchführung dieser Aufgabe. Es ist daran gedacht, dass der Motor gekauft wird, die Blechteile von E&S gepresst und geschweisst werden, die Kraftübertragung und Getriebeanlage von den Schwäb. Zahnradwerken (Herr Wacker) gelöst werden.
Friedrich berichtet, dass er schon äusserst scharfe Kalkulationen über das Fahrzeug angestellt hat. Es darf nicht verschwiegen werden, dass der Anlauf eines derartig bedeutenden Objekts, gut gerechnet, etwa RM 200 000.- bis RM 300 000.- erfordert. Andererseits ist aber bei Beschreitung dieses Weges Gewähr dafür geboten, nicht in der ausgetretenen Spur all der vielen Metallwarenfabriken zu wandeln.
Wenn die amerikan. Regierung es mit der Förderung landwirtschaftlicher Geräte aufrichtig meint, so dürfte mit einem solchen Vorhaben sicher deren Zustimmung zu erhalten sein.
Die Möglichkeit, mit äusserst anständigen Partnern eine gemeinsame Arbeit zu beginnen, ist bei dieser Aufgabe besonders verlockend, da sowohl H. Wacker, wie auch H. Dir. Friedrich, über jeden Zweifel erhaben sind.“
Bereits am nächsten Tag, dem 25. August 1945, wurde das Gespräch in Beisein des Technischen Direktors der Schwäbischen Zahnradwerke Gmünd, Herrn Wacker, fortgesetzt und ebenfalls von Eduard Köhler wie folgt protokolliert:
„In Fortsetzung der am 24. 8. mit H. Direktor Friedrich begonnenen Aussprache wurde eine Konstruktion in einem erweiterten Kreis besprochen.
Zunächst stellte H. Grass fest, dass unter den derzeit benötigten landwirtschaftlichen Maschinen ein Fahrzeug der genannten Bauart ganz besonders fehlt. Über die technischen Ausgestaltungen ergaben sich keine grundsätzlich verschiedenen Meinungen. Einer Serienfertigung müsste der Versuchsbau und die Erprobung vorausgehen.
Ein Verkauf der ersten Serienerzeugnisse kommt nicht vor dem übernächsten Frühjahr (1947) in Betracht. Wenn der Antriebsmotor gekauft wird, ist es möglich, dass von den Firmen E&S und den Schwäb. Zahnradwerken die Fabrikation gemeinsam durchgeführt wird. Dazu müsst allerdings nach Ansicht der Beteiligten eine neue Firma oder eine Art Dachgesellschaft gegründet werden, da wir kein Interesse daran haben, das volle Risiko einer derartigen neuen Sache einzugehen. Andererseits erscheint ein Verbindung mit dem Konzern der Friedrichshafener Zahnradfabrik ebenfalls nicht als wünschenswert, da dieser Grossbetrieb stets das Bestreben haben wird, kleinere Partner aufzuschlucken.
Eine Möglichkeit dürfte darin liegen, dass Herr Wacker seine Fabrik von seinem Konzern mietet. H. Friedrich spricht davon, dass ihm die Beibringung von fremdem Kapital möglich wäre. Wenn es zu einer Gründung kommt, würde sich H. Friedrich ausschließlich der Fabrikation seines Fahrzeuges widmen.
Vielleicht wird es auch notwendig sein, H. Grass als landwirtschaftlichen Experten in irgendeiner Form aufzunehmen. Zunächst ist aber die Lage so, dass H. Friedrich noch der Fa. Daimler-Benz angehört; auch hat die Fa. Daimler-Benz vorläufig noch einige Vorrechte auf die Konstruktion. Bis jetzt hat sich allerdings H. Direktor Haspel ablehnend verhalten, da er immer noch an das Aufleben des Personenwagenbaues glaubt.
Auf den ersten Blick erscheint es abwegig von unserer bisherigen Fertigung auf die Herstellung von Automobilen überzugehen, doch lassen sich bei näherer Betrachtung vielerlei Möglichkeiten feststellen.
In unseren Räumen soll keine Montage von Fahrzeugen stattfinden, sondern wir übernehmen die Blech-, Press- und Stanzarbeiten. Die Montage kann in den Hallen der Getriebeherstellers, also der Schwäb. Zahnradwerke stattfinden. Die Herstellung von Blechteilen für das Fahrzeug könnte unsere grösseren Maschinen beschäftigen.
Wichtiger erscheint mir die spätere Anfertigung der benötigten Zusatzgeräte für ackern, säen, mähen und dergleichen. Diese Geräte sollen zunächst in handelsüblicher Bauart gekauft und angefertigt werden. Ein schrittweises Übergehen auf eigene Konstruktionen ist auf diese Weise am leichtesten möglich. Die Herstellung solcher Zubehör-Aggregate ist in moderner Leichtbau-Konstruktion für unsere Firma eine durchaus erstrebenswerte Sache.
Eine Berechnung von H. Friedrich besagt, dass bei dem Verkaufspreis von etwa RM 3 500,- monatlich etwa 100 Fahrzeuge gefertigt werden müssen, um wirtschaftlich zu arbeiten. Für den Anfang ist mit einem höheren Preis zu rechnen.“
Im August 1945 konnte man sich also bereits gut vorstellen, unabhängig von Daimler-Benz in Schwäbisch Gmünd das motorgetriebene Universalfahrzeug für die Landwirtschaft herzustellen.
Michael Wessel
Quellen:
Kopien der Skizzen vom 4. August 1945 von Walter Benseler verwahrt das Konzernarchiv der Daimler AG
Die hier gezeigte überarbeitete Fassung darf nur in Absprache mit Michael Wessel verwendet werden.
Eva Klingler, Michael Wessel: „Geschichten rund um den Unimog“, Band 1, Ettlingen 1992 und Michael Wessel, “Geschichten rund um den Unimog”, Band 3, Gaggenau 2009 – zu beziehen über www.buchundbild.de